Die größte Motivation ist, wenn jemand sagt, das kannst du nicht! - Markus Rehm im Interview

Die größte Motivation ist, wenn jemand sagt, das kannst du nicht!


 Interview mit Weltrekordhalter und Paralympicssieger Markus Rehm

Breit lächelnd und gut gelaunt kommt uns Markus Rehm entgegen und begrüßt uns am Olympiastützpunkt in Leverkusen. Sicher ist es nicht selbstverständlich, dass sich ein Goldmedaillengewinner und Weltrekordhalter die Zeit nimmt, sich mit Schülerzeitungsredakteuren zu unterhalten. Umso mehr freuten wir uns, als Markus unsere Interviewanfrage annahm. Nun war es also endlich so weit und wir erlebten einen überaus sympathischen jungen Mann, der offen mit uns sprach und uns einen Einblick in seine Wettkampfvorbereitung und -durchführung, aber auch seine persönlichen Einstellungen gab.
Markus hatte im Alter von 14 Jahren (2003) einen Unfall beim Wakeboardfahren, wobei er seinen rechten Unterschenkel verlor (die ganze Geschichte könnt ihr hier nachlesen). Seine Sportbegeisterung hörte nie auf und so setzte er alles in Bewegung, um weiterhin Sport ausüben zu können. Durch hartes Training und die Unterstützung durch Familie und Freunde schaffte er es im Jahr 2012 bei den Paralympischen Spielen in London die Goldmedaille im Weitsprung zu holen, außerdem 2016 in Rio de Janeiro Gold im Weitsprung und Gold gemeinsam mit der 4x100m Staffel. In diesem Jahr stellte er erneut einen Weltrekord im Weitsprung auf mit der sagenhaften Weite von 8,48m.
Für uns nahm er sich mehr als zwei Stunden Zeit und beantwortete geduldig unsere Fragen, die ihr nun in Ausschnitten nachlesen könnt.


Was war für dich der schönste Moment im Sport?
Da fallen mir spontan zwei Momente ein, nur einer hat direkt mit Sport zu tun. Ganz klar waren das zum einen die ersten Paralympischen Spiele. Mein erster großer Erfolg bei den Paralympics 2012 in London, meine erste Goldmedaille im Weitsprung, das war einfach toll, meine Familie und meine Freunde waren dabei. Da wird man dann schon emotional, man weiß, man hatte diesen Unfall, und all die Menschen, die mich dann eigentlich hier hin gebracht haben, die sind heute hier. Dann standen meine Eltern quasi zwischen den Fahnen und ich konnte sie vom Podium aus sehen, wie sie mir mit Tränen in den Augen zugewunken haben, da musste ich selbst sehr mit den Tränen kämpfen. Das war einfach ein ganz besonderer Moment, den ich sicher nie vergessen werde.
Ein weiterer Moment, der mir sofort einfällt, war nach den Spielen 2016 in Rio. Da kam ich nach der Ankunft zum ersten Mal wieder auf die Arbeit, ich arbeite ja als Orthopädietechniker und baue auch Prothesen. Ich habe damals einen achtjährigen Jungen betreut, der bei einem Unfall beide Beine verloren hatte und für ihn hatte ich auch die Prothese gebaut. Als er mich an diesem Tag gesehen hat, lief er auf mich zu und umarmte und beglückwünschte mich und schenkte mir ein selbstgemaltes Bild. Da musste ich mit den Tränen kämpfen. Seine Mutter erzählte mir, dass er sich alles von den Spielen anschauen wollte und sie wegen der Zeitumstellung alles aufnehmen mussten, so dass er alles verfolgen konnte. Das war ein ergreifender Moment für mich, zu merken, dass jemand aus dem, was du machst, eine eigene Motivation ziehen kann. Mittlerweile macht der Junge paralympisches Schwimmen und es mag vielleicht banal klingen, ein Bild gemalt zu bekommen. Aber ich habe das Bild seitdem auf jedem Wettkampf dabei, weil es für mich eine riesige Motivation ist und ein Grund, warum ich diesen Sport überhaupt mache.

Du warst überaus erfolgreich bei den Paralympischen Spielen. Läuft schon die Vorbereitung auf Tokio 2020?
Also nach den Spielen ist ja auch immer vor den Spielen. Meistens ist es die ersten 2 Jahre ein bisschen ruhiger und man denkt nicht so viel drüber nach, weil dann der Fokus eher auf den Winterspielen liegt, aber so langsam geht es natürlich los. Spannend wird es nächstes Jahr, denn da haben wir wieder die Weltmeisterschaften und dann ist eigentlich auch schon wieder das Olympische Jahr. Also so langsam geht die Vorbereitung wieder darauf zu und es werden jetzt auch vermehrt Wettkämpfe in Tokio stattfinden. Auch da merken wir, dass sich ein bisschen was verändert und der Fokus in Richtung Paralympische Spiele geht. Ich werde dieses Jahr wahrscheinlich auch zweimal hinfliegen, weil sie jetzt richtig anfangen groß Werbung und den Sport bekannter zu machen, das ist ganz schön.

Hast du bestimmte Ziele für Tokio?
Ja, ganz klar den Titel verteidigen, also gerne im Weitsprung die 3. Goldmedaille gewinnen. Das ist schon das große Ziel, alles andere wäre gelogen. Ich möchte da schon ganz vorne mitspringen und so weit wie möglich an die olympischen Athleten ran springen. Es wäre schön, wenn irgendwann der Moment kommt, an dem ein paralympischer Athlet weiter springt oder schneller läuft. Ich glaube, das wird irgendwann wahrscheinlich passieren und das da halt ein bisschen spannend zu machen, das würde ich ganz schön finden.

Ist es denn für dich in Zeiten von Inklusion überhaupt noch zeitgemäß, solche Spiele zu trennen in paralympische und olympische oder wärst du eher für ein gemeinsames Event?
Also ich glaube, ein gemeinsames Event macht aus ein paar Gründen keinen Sinn:  zum einen wären das zu viele Menschen. Man spricht ja schon oft davon, dass die Spiele gar nicht wirtschaftlich sind, denn die kosten sehr viel Geld und die Sportstätten verkümmern und die Wohnungen werden teilweise verkauft oder vermietet, aber auch das ist nicht so nachhaltig. Und wenn jetzt beide Athletengruppen gleichzeitig an einem Ort sein sollten, dann müsste die ganze Infrastruktur noch gigantischer sein und ich glaube, das würden solche Städte gar nicht verkraften, das würde gar nicht funktionieren.
Aber ich glaube, dass es auch wichtig ist die olympischen und paralympischen Spiele zu trennen, weil sie ganz unterschiedliche Werte und Botschaften vertreten, die in vielerlei Hinsicht vielleicht gleich sind, aber gerade der paralympische Sport hat einfach noch ein paar Botschaften, die der olympische Sport vielleicht nicht hat und ich glaube auch, dass man das schon noch weiterhin trennen sollte. Ich würde es schön finden, wenn man das nicht so strikt macht, z.B. gibt es aktuell einfach das olympische und das paralympische Logo und das eine darf bei der anderen Veranstaltung nicht sichtbar sein. Da wird extrem hart getrennt und das finde ich ein bisschen schade. Man sagt quasi: Wir starten die Olympischen Spiele, wir beenden sie, dann haben wir eine kleine Pause um alles umzubauen, die ganzen Logos umzulackieren und die anderen Banner aufzuhängen und dann machen wir das Feuer wieder an und nach 2 Wochen wieder aus.
Ich fände es schön, wenn man am Ende der Olympischen Spiele einen riesigen Staffellauf machen würde. Also 4 x100 Meter, man hat 8 Bahnen für 8 Nationen und in jeder Nation starten 2 olympische und 2 paralympische Athleten und man macht so einen Verbindungswettkampf, wo auch Medaillen vergeben werden. Dabei können die Athleten gemeinsam für ihr Land Medaillen gewinnen und am Ende der Spiele nimmt man das Feuer runter, trägt es symbolisch bei diesem Staffellauf einmal durchs Stadion und dann geht man direkt wieder hoch und macht das Feuer an und sagt: Es geht weiter und hört nicht auf.
Das würde ich cool finden, wenn man einfach ein bisschen enger zusammenkommt und sagt: Wir machen alle den gleichen Sport und lieben, was wir machen und warum soll man das so strikt trennen?

Hast du denn auch ein Lebensmotto, was dir durch die stressige Saison hilft?
Durch die stressige Zeit gibt es nicht das eine Motto. Das ist manchmal schwierig, auch ich hab nicht immer Lust auf Training, das muss ich zugeben. Ich mache das unglaublich gerne, aber man hat nicht jeden Tag Bock. Aber letztlich weiß man, warum man das macht, man hat Spaß daran und es ist eigentlich auch ein Privileg, jeden Tag das machen zu dürfen, worauf man Lust hat. Andere müssen jeden Tag an den Schreibtisch und ich darf hier Sport machen, wie geil ist das denn. Da muss man sich manchmal wieder bewusst werden, wie cool es ist, was wir machen dürfen. Das ist Teil meines Jobs, hier Sport zu machen und das ist schon extrem schön. Und so ein Lebensmotto? Ich habe damals im Krankenhaus auch so einen Spruch gehört: Ich lass mich nicht behindern. Ich hasse das Wort, behindern, finde ich total schrecklich. Aber ich finde, es passt in dem Fall ganz gut. Ich beziehe das nicht auf mein Handicap, also meine Prothese. Ich habe damals schon ganz schnell bemerkt, dass die Leute Ideen davon hatten, was ich nach meinem Unfall noch machen kann oder vielleicht nicht mehr machen kann. Ganz viele haben gesagt, das geht, das geht nicht mehr und irgendwann dachte ich mir: Woher wisst ihr das alle, woher wollt ihr das wissen? Ihr habt keine Ahnung, ihr tragt keine Prothese. Und ganz viele Leute dachten auch, dass Snowboard fahren nicht mehr geht, meine Familie dachte das auch. Und ich habe meinen Vater irgendwann mal erwischt, wie er dann am PC nach Möglichkeiten gegoogelt hat, was ich im Sitzen machen könnte. Wir waren früher viel unterwegs im Winter und ich bin oft Snowboard gefahren. Und ich kam in den Raum und sah dieses Bild und habe gefragt: Was machst du da? Und er sagte, er guckt doch nur nach einer Alternative. Und ich sagte: Ich brauche keine Alternative, ich fahre Snowboard. Kein Problem. Ich will mich nicht irgendwo draufsetzen und im Schlitten die Piste runterfahren. Völlig bescheuert. Und da habe ich schon bemerkt, ich will mir von keinem vorschreiben lassen, was ich kann und was ich nicht mehr kann. Das muss nicht jeder mit einem Handicap so für sich definieren, sondern das kann jeder für sich. Ich setze mir meine Grenzen selber. Ja, ich denke, das ist die grundsätzliche Motivation, die mich antreibt. Wenn einer sagt, das geht nicht, dann ist es eigentlich immer die größte Motivation, genau das zu machen. Zum Beispiel als paralympischer Athlet 8 Meter zu springen. Das hielt man immer für unmöglich und das fand ich irgendwie cool und dachte mir: Das wäre doch was, der erste zu sein, der es springt. Und dann war es eben irgendwann auch mal so weit und das sind dann schon die tollsten Momente.



Das Interview führten Darlene Schiska, Lucy Kehn, Dominik Schmitz, Fabian Fast, Lars Romeijn, Nico Kötter und Marvin Miebach.

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